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Ein Wiesbadener Zukunftsbild

Herstellung eines freien Platzes mit Festhalle auf der Kimbelwiese?
1895
Der folgende Artikel erschien am 24. Februar 1895 im Wiesbadener General-Anzeiger.
Der freie Platz, um den es geht, wird nur wenige Jahre später zum Blücherplatz, anstatt des Festhauses wird dort die zunächst für den Sedanplatz vorgesehene Schule (Architekt: Felix Genzmer) stehen.


Der Vorstand des westlichen Bezirksvereins hat dieser Tage unter Beigabe der unserem heutigen Blatte beigefügten Abbildung, sowie eines Situationsplans folgende Eingabe an den Magistrat unserer Stadt gerichtet und gleichzeitig auch den Herren Stadtverordneten übermittelt:

„In unserer Eingabe vom 16. Dezember v. Jahres hatte der Vorstand des westl. Bezirks-Vereins sub. F. die Herstellung eines freien Platzes auf der „Kimbelwiese“ beantragt und sich vorbehalten, diesen Antrag in einer später einzureichenden Schrift unter Vorlage der entsprechenden Situationspläne näher zu begründen. Wir erlauben uns nunmehr, indem wir auf die erläuternden Karten hinzuweisen, demzufolge Nachstehendes zu bemerken. Bereits in unserer Eingabe vom 16. Dezember v. Js. haben wir darauf hingewiesen, daß nach der tiefen und ringsum eingeschlossenen Lage der Stadt Wiesbaden und mit Rücksicht auf die dadurch sowie durch die heißen Quellen in warmer Jahreszeit eintretende große Hitze die mögliche Zufuhr gesunder und erfrischender Gebirgs- und Waldluft wünschenswert, ja im Hinblick auf die Gesundheit-Verhältnisse der Einwohner notwendig sei. Die localen Verhältnisse von Wiesbaden haben sich gerade in dieser Beziehung seit den letzten Jahrzehnten wesentlich verschlimmert. Während im Anfang der 1860er Jahre die Einwohnerzahl der Stadt kaum die Zahl von 30.000 überstieg, zählt dieselbe dermal, insbesondere hervorgerufen durch den Zuzug von Landbewohnern, nahezu 75.000 Einwohner, die Ausdehnung der Stadt hat dadurch bedeutend zugenommen und beinah sämmtliche Gärten innerhalb der Stadt, die mit Ausnahme der ältesten Straßen an keinem der Häuser fehlten, sind beinah sämmtlich verschwunden oder mindestens auf kleine Flächen beschränkt. Dazu fehlt es in der Stadt, die als Kurstadt auf ihren guten Ruf als solche besonders Bedacht zu nehmen hat, an geeigneten freien Plätzen und gegenüber anderen großen Städten, namentlich Kurorten, ist sie in dieser Beziehung dürftig ausgestattet und wenn man mit Recht den Rückgang unserer Kurverhältnisse in Beziehung auf die Qualität der Kurgäste, auf die mehr und mehr sich mindernde Zahl der reichen und vornehmen Gäste beklagt, so mag dies besonders dem Umstande zuzuschreiben sein, daß die selbst vom umverwöhnten Gaste verlangte, gute, frische kräftigende Luft und das Vorhandensein freier, zum ungestörten Ausruhen auffordernder Plätze in der Stadt und in deren nächster Umgebung beinah ganz fehlen, oder nur in dürftigem Maße vorhanden sind. Wir haben übrigens auch darauf Bedacht zu nehmen, daß für die städtische Jugend geeignete und umfangreiche Plätze geschaffen werden, die ihnen Gelegenheit bieten, frei von den mitunter sehr engen und ungesunden Wohnräumen sich den Geist und Körper kräftigenden Übungen und Spielen hinzugeben und ohne Störung für die Ruhe und Stille liebenden Kurgäste und Fremden auszutoben.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß je enger und dumpfer die Stadtviertel, je dichter und unfreundlicher die Wohnungen, je weiter entfernt vom hellen Sonnenschein und von der lachenden Natur, desto roher das Volk, desto verwilderter die heranwachsende Jugend, desto verwahrloster die Kinder sind. Ebenso wichtig wie die Anforderungen des Verkehrs, sowie die Anforderungen zur Hebung unserer Kurverhältnisse, sind die Grundbedingungen der öffentlichen Gesundheit an Leib und Seele. Die Rücksicht auf diese macht es den Behörden der Stadt zur Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieselbe mit grünen Ruheplätzen und Kinderspielplätzen in hinreichender Zahl und Größe, in richtiger Lage und Anordnung versehen werde. Besonders wichtig ist diese Pflicht gerade für die starke Bevölkerung des Westens, baldigst für die Anlage eines großen Platzes Sorge zu tragen.
Die Nothwendigkeit der frühzeitigen Beschaffung geeigneter Grundstücke für die erforderlichen öffentlichen Gebäude, Plätze und Anlagen gilt für die Gemeinde in erster Linie berücksichtigt zu werden. Je früher die Gemeinde sich zur wirklichen und dadurch billigeren Ausführung der geplanten öffentlichen Gartenanlagen entschließt, desto wirksamer und wohltuender beeinflußt sie die geregelten Fortschritte und die freundliche Gestaltung der Stadtteile, sowie den Zuzug Fremder. Andere Städte bieten in dieser Hinsicht sehr viel auf; was ist in den letzten Jahren in Cöln, Karlsruhe, Stuttgart, Mainz etc. geschaffen worden. Mainz hat durch die Erbauung der Stadthalle und die Anlage des freien Platzes unberechenbare Vortheile. Wie oft werden Ausstellungen, Feste, Märkte usw. auf diesem Platze abgehalten, welche einen bedeutenden Zuzug nach dieser Stadt von auswärts veranlassen.
Wiesbaden hat nicht einen einzigen Platz, auf welchem derartige Festlichkeiten stattfinden können und auf welchem man eine Festhalle, Circus etc. aufstellen vermag, hierbei sei bemerkt, daß der im Westend projectirte Sedanplatz, ohnehin wenig umfangreich, durch die nebenherlaufenden Verbindungsstraßen und durch die um 3 Meter vorgeschobene Sedanplatzschule zu einer gewöhnlichen Passage umgewandelt wird. Ober-Baurath und Professor R. Baumeister aus Karlsruhe hat in seinem Gutachten „die Stadterweiterung Wiesbadens betreffend“, Seite 5 besonders darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Erweiterung von Wiesbaden noch fast gar nicht auf freie Plätze Rücksicht genommen sei. Wenngleich breite Hauptstraßen mit Baumreihen besetzt werden, und der herrliche Wald nicht weit entfernt ist, so bedarf es doch einer Anzahl von freien Plätzen, welche das Häusermeer stellenweise unterbrechen.
Professor Baumeister hat deshalb auch in seinem Bebauungsplan einen freien Platz in unmittelbarer Nähe des von uns vorgeschlagenen Platzes, bezüglich dessen wir auf dessen Plan wir hinweisen, vorgesehen. Derselbe würde an der Scharnhorststraße zwischen Blücher- und Dotzheimerstraße zu liegen kommen, eine dreieckige Form erhalten, und, durch die Bertramstraße in zwei Theile getheilt, sich nur für einen Garten- und Spielplatz eignen. Die Erwerbung desselben würde auf große Schwierigkeiten stoßen, bedeutende Kosten verursachen und seinen Zweck erst in 15 – 20 Jahren erfüllen.
Anders verhält es sich mit dem von uns vorgeschlagenen Platze. Derselbe würde eine viereckige Form erhalten, von der Blücher-, York-, und Scharnhorststraße begrenzt, ca. 17.000 qm groß werden und dem von Professor Baumeister vorgeschlagenen Platz gegenüber nachfolgend Vortheile gewähren:

1. Außer seiner günstigen Formte wesentlich bei solchen Plätzen in Betracht zu ziehen, ist der Platz auch durch seine Lage im Mittelpunkte des Westends durch die Bleichstraße, Yorkstraße (welche eine größere Breite, wie im Bebauungsplan vorgesehen, erhalten müßte) Roon-, Ring-, Wellritz-, Franken-, Walram-, Hermannstraße und Bismarckring in wenigen Minuten bequem zu erreichen, zumal nach Einrichtung der elektrischen Bahn nach der Walkmühle. Von dem Mittelpunkte und den Geschäftsstraßen der inneren Stadt ist er nur 10 – 15 Minuten entfernt.

2. Dient der Platz als Luftklappe für das eng zusammengebaute Wellritzviertel und für die ganze Stadt.

3. Als Spielplatz für unsere Jugend und Eisbahn, ähnlich der auf der Blumenwiese, ist er vorzüglich geeignet.

4. Für Abhaltung größerer Festlichkeiten, Turn-, Sängerfesten, Ausstellungen etc. ist gerade die viereckige Form des Platzes vorzüglich geeignet und können deshalb auch größere Einrichtungen, wie Circus usw. dort vorzüglich Platz finden.

5. Zur Abhaltung des Getreidemarkts ist derselbe besonders passend. In Frankfurt, Mainz Mahhheim etc. wird das Getreide nach Muster und auf Bestellung an- und verkauft. Anders verhält es sich aber bei uns, wo die Verkäuferihre Waaren in natura auf den Markt bringen, dieser Markt wurde seither in der Bleichstraße abgehalten War diese Straße, wie sich jeder aufmerksame Betrachter überzeugen konnte, bisher gänzlich ungeeignet zur Abhaltung des Fruchtmarktes, da durch die Ansammlung größerer Menschenmassen, insbesondere aber durch die alsdann dort aufgestellten Wagen der Fruchtverkäufer eine unzulässige Hemmung des Verkehrs eintrat, so wird nach der Eröffnung der Seerobenstraße, welche zur Entlastung der Emserstraße und des Michelsbergs in diesem Jahre ausgebaut werden soll, wodurch der Fuhrverkehr durch die Ringstraße und Bleichstraße nach dem Innern der Stadt gelenkt wird, die Abhaltung des Fruchtmarktes in der Bleichstraße unmöglich, und die Polizeibehörde, die ohnehin schon bei der bisherigen Einrichtung oft hemmend auf den Verkehr einwirkte und einwirken mußte, sicherlich zu einem Verbote, in der Bleichstraße den Markt abzuhalten, genöthigt. Dagegen wird durch die Abhaltung des Marktes auf dem von uns vorgeschlagenen Platze die Errichtung einer Waage und eines Wiegehäuschens möglich, es werden viele Klage verstummen; das lästige und verkehrstörende Hin- und Herfahren nach der Waage in der Neugasse wird aufhören, die von auswärts kommenden Verkäufer würden nicht zur Stadt hinausgedrängt und sie könnten ihre Fuhrwerke auf dem Platze unter Aufsicht belassen und ihre Einkäufe in der Stadt besorgen, anstatt nunmehr genöthigt zu sein, mit ihrem Fuhrwerke den viel zu engen Mauritiusplatz zu überlasten und dadurch den Verkehr zu stören.

6. Die Hauptvortheile, welche der von uns vorgeschlagene Platz bietet, sind aber besonders die in Betracht kommenden finanziellen.
Der größte Theil des Platzes ist bereits städtisches Eigentum, das daran stoßende Gelände, dem Fiscus gehörig, ist leicht zu erwerben. Je früher dies geschieht, um so billiger wird der Ankaufspreis sein.
Nach Inangriffnahme der Arbeiten und Festlegung der Straßen wird der Grundwerth in der Umgebung des Platzes bedeutend steigen und das übrige nicht zu dem Platz gebrauchte Gelände wird gern und sicherlich zu hohen Preisen von den Grundbesitzern der Roon- und Yorkstraße zur Arrondirung ihrer Bauplätze angekauft werden. Der westliche Bezirks-Verein bittet vorstehende Ausführungen im Interesse für das Gesammtwohl der Stadt, als auch für das Interesse des westlichen Bezirks Erwägung zu ziehen und das Geeignete zur Errichtung des vorgeschlagenen freien Platzes bald geneigtest zu veranlassen“

Wiesbadener General-Anzeiger
24. Februar 1895



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