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Das alte Residenztheater

in der Bahnhofstraße 20
1892 – 1910

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Detail aus einem Gemälde des in Wien gebürtigen Malers Anton Radl (um 1820)
In der linken Bildhälfte vorne ist das Gartenhaus zu erkennen.

Spielmann/Krake Atlas der Stadt Wiesbaden – Karte von 1826:

Die Friedrichstraße war 1818 in ihrer ganzen Länge von der Alleestraße bis zur Schwalbacher Straße beiderseits ausgebaut. Die Häuser waren zweistöckig und hatten vor dem Hause auf der Straße breite Freitreppen. Auf der Nordseite der Luisenstraße waren bis 1826 im ganzen 11 Gebäude errichtet, während auf der Südseite noch keines stand. Die Kirchgasse wurde bis zur Luisenstraße durchgeführt, während die Neugasse leider an der fFriedrichstraße endigte. Die Bebauung beider Straßenstrecken blieb noch sehr lückenhaft.
Bemerkenswert ist die Einrichtung eines Gebäudes für die Militärschule, um 1822 (sp. Schirmers Saal), im Garten des Generals von Kruse, auf dem Gebiete des Alten Herrngartens.

…Auf dem Schillerplatz, früheren Friedrichsplatz, lag, auf der Stelle des jetzigen Vorschußvereinsgebäudes, das Haus des nassauischen Generals von Kruse; an sein Haus schloß sich ein schöner, großer Garten, der sich nach der Luisenstraße zu hinzog. In diesem war an Stelle des früheren Residenz-Theaters ein Pisébau (*Stampflehm) erricht. Als nach dem Feldzug 1815 sich das Bedürfnis einer Offiziersbildungsanstalt einstellte, stellte er dieses Gartenhaus der damaligen sog. Lehrkompagnie zur Verfügung. Später wurde an der Dotzheimer Straße ein Haus für die Kadettenschule erbaut, es ist dies das jetzige Offizierskasino.…

Jugenderinnerungen und Denkwürdiges von Alt-Wiesbaden
Wiesbadener Tagblatt 3. Juni 1911 MA, 1. Blatt
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Spielmann-Karte von 1817 (Ausschnitt) mit dem Gartenhaus
und dem damals noch existierenden Herrngarten

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Karte der Stadt Wiesbaden, gezeichnet von 1820 bis 1826, mit dem Gartenhaus
und dem damals noch existierenden Herrngarten

Im Jahr 1892 eröffnete Kommissionsrat Hasemann im ehem. Schirmers Gartensaal (damals Bahnhofstraße 20, heute Nr. 3) ein Privattheater mit ca. 500 Plätzen. Man spielte Operetten, Lustspiele und Possen und verstand sich als Ergänzung zum Hoftheater.

1895 übernahm Carl Hermann Rauch die Leitung und führte es als »Residenztheater« fort. Aus dem »Operettentheater« machte er eine »künstlerische Institution« mit Stücken zeitgenössischer Dramatik.

Im September 1910 eröffnete Rauch ein eigenes Haus mit ca. 800 Plätzen auf dem ehem. Kasernengelände zwischen Luisenstraße und Schwalbacher Straße. Heute steht dort das Luisenforum. Das Residenztheater.spielte eine bedeutsame Rolle im Kulturleben der Stadt.

U. a. standen berühmte Schauspieler wie Adele Sandrock, Sarah Bernhardt, Heinrich George und Hans Albers (der in der Marktstraße 20 wohnte) auf der Bühne. Infolge des Ersten Weltkriegs schwand das Publikum, die finanziellen Belastungen wurden unüberbrückbar und zwangen Theaterdirektor Rauch zur Aufgabe und zum Verkauf des Theaters. Das Haus verkam zu einem Amüsierbetrieb.
1922 gliederte der Intendant Carl Hagemann, der sich neben dem »Großen Haus« eine Bühne für das Sprechtheater wünschte, das Residenz-Theater dem Staatstheater als »Kleines Haus« an. Die erste Vorstellung fand am 04. Februar statt. Der Spielplan konzentrierte sich auf zeitgenössische Dramatik, unterbrochen hin und wieder durch Spielopern oder Operetten.

1934–43 übernahm erneut eine Privatdirektion den Spielbetrieb. Ab dem 01.09.1943 war das Theater dann wieder als zweite Bühne dem damaligen »Deutschen Theater« angegliedert.

Bei dem Fliegerangriff in der Nacht zum 03.02.1945 zerstörten Bomben die Schauspielbühne im ehem. Residenz-Theater. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging aus dem ehem. Theater das Kino »Residenz-Palast« hervor. Anfang der 60er Jahre musste das Gebäude dem Neubau des Kaufhauses Hertie weichen.

Quellen: Dr. Bernd-Michael Neese, Stadtarchiv Wiesbaden, Klaus Kopp, Britta Steiner-Rinneberg, Wolfgang Herber
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Dr. Carl Hermann Rauch

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Ein Artikel von Lothar Lüstner in Christian Spielmanns Zeitschrift "Nassovia" (1910)

Abschied vom alten Residenztheater

Die Spitzmarke „Letzte Spielzeit im alten Hause“, welche seit etlichen Monden über den Programmen prangte, hatte die Wiesbadener zwar auf das in die Sommersaison fallende besondere Theaterereignis genügend vorbereitet; als es aber herankam, mischten sich doch gewisse wehmütige Empfindungen in die glänzende Abschiedsfeier. Galt es doch, wieder von einer lieben Stätte Alt-Wiesbadens zu scheiden, die unseren Großeltern, wenn auch in veränderter Gestalt, teuer gewesen, und an der wir selbst vortreffliche künstlerische Eindrücke empfingen. Wie sehr unser Publikum an dem Residenztheater hängt, die Leistungen seines begabten Chefs und der trefflichen Künstlerschaft zu würdigen weiß, zeigte der Abend des 30. Juni 1910. Wie eine Wallfahrt drängte es sich in hellen Scharen nach dem Musentempelchen an der Bahnhofstraße; was Namen und Stellung in Wiesbadens Kunstleben hatte, versammelte sich dort; jeder wollte dabei gewesen sein. In dem Foyer erinnerten sorgfältig gerahmte Programme an besondere Glanzpunkte der Theatergeschichte, und daran anknüpfend wurden schöne Erinnerungen wachgerufen. Vergangenheit und Gegenwart schienen hier Berührung zu finden; stand man doch am Abschluss einer wichtigen Epoche, der eine glänzende – des sind wir gewiß – folgen wird. War doch die Künstlerschaft aus jenem engen Rahmen längst herausgewachsen und drängte mit zwingender Notwendigkeit in ein moderneres, würdigeres Milieu.

Gespannteste Aufmerksamkeit lag auf allen Mienen, als das Glockenzeichen ertönte. Bis zum letzten Platz überfüllter Zuschauerraum, Stühle im Orchester, Logen und Galerien dichtbesetzt. Der Vorhang ging in die Höhe. Herausfordern gleichsam klang das tolle, übermütige Lachen und Schäkern der Maibowle-umnebelten, von dem Stimmungsreiz holder Frühlingsnacht ganz erfüllten Menschenkindern, denen Gott Amor – gerade jetzt – seine scharfen Pfeile glühender Sinnlichkeit zu kosten gab. „Nur ein Traum“ lautete die Devise, und in hoc Signa, geführt von Lothar Schmidts spannender Diktion, errang das Ensemble seinen letzten Triumph auf den Brettern der alten Bühne. So flott und natürlich wickelte sich alles ab wie im Leben. Von Akt zu Akt Steigerung des Beifalls; Kränze und Blumenspenden flogen auf die Bühne; eine gewisse Nervosität packte das Auditorium. Und nun der Epilog: „Die letzten Vier“, von unserem einheimischen Dichter und Schriftsteller Wilhelm Clobes verfaßt. Dieses Kabinettstückchen geistreichen, absolut auf dem Boden des Wirklichen wurzelnden Humors verlieh den letzten Momenten die entsprechende originelle, verblüffende Wirkung. Phrasendrescherei üblichen Stiles hätte für unsere Bühne, die doch stets das reich pulsierende Leben ohne den Pinsel des retuschierenden oder verschönernden Illustrators darstellte und dem falschen Banausentum die Maske herunterriß, auch absolut nicht gepaßt. Und wer sind die vier Geheimnisvollen? Aus seinem Gehäuse kroch der stillwirkende Kastengeist, der Souffleur (Hermann Nesselträger) und redete in dieser Stunde laut vom ALten und Neuen, dazwischen eindringlich von dem Portier (Frank Schönemann) durch Schlüsselklirren, dem Mann am Vorhang (Theo Münch) und der Scheuerfrau (Minna Agté) an das Ende gemahnt, weil nun die Arbeit an ihnen sei. Der Epilog war ein realistisch treuer. Den dann ausbrechenden elementaren Jubel sowie die einmütige Begeisterung, die unseren hochverdienten Dr. Rauch auf die Bühne rief, läßt eine Schilderung in Worten kaum zu. Kränze von Riesendimensionen brachte ihm Dankbarkeit und Verehrung dar, und tief ergriffen von solchen Ovationen und stürmischen Kundgebungen dankte der Gefeierte den Behörden, der Presse und dem Publikum für alles und versprach, auch im neuen Hause seine ganze Kraft der Kunst zu widmen. Mit der Bitte um ferneres Wohlwollen rief er dem Auditorium ein begeistert akklamiertes „Auf Wiedersehen“ zu. Dutzendmale mußte der Vorhang noch in die Höhe gehen, bis sich, wehmütigen Blicks und doch noch erfüllt von dem allgemeinen Enthusiasmus, die Getreuen von dem alten Residenztheater trennten.

Gedenken wir noch in kurzen Zügen der Vergangenheit der Kunststätte. Ursprünglich gar nicht Theater, befand sich hier der Saalbau Schirmer, der einzige größere Saal des alten Wiesbaden, in welchem viele Versammlungen verschiedenster Art, auch Konzerte, hauptsächlich aber Tanzlustbarkeiten großen Stils abgehalten wurden. Später Kaisersaal genannt, diente er fast ausschließlich Terpsichorens herzverbindender Muse, und gar manches Wiesbadener Mägdlein begann hier mit dem Geliebten den „Tanz fürs Leben“.

Die Hausnummern in der Bahnhofstraße haben sich mehrfach geändert.
Ursprünglich war Schirmers Gartensaal Nr. 12, später nach weiterer Bebauung der Straße wurde daraus die Hausnummer 20. Heute befindet sich das Grundstück in der Bahnhofstraße 3.

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Aus dem Bade-Blatt für Wiesbaden 5.8.1867

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Aus dem Bade-Blatt für Wiesbaden 24.6.1868

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Aus dem Wiesbadener Bade-Blatt 29.1.1887

Dann, 1891 – 1892, verwandelte Architekt Grün den Bau in das schmucke „Residenztheater“, so gut es die Verhältnisse gestatteten. Kommissionsrat W. Hasemanns Wirken von 1892 – 1895 ist hier noch in Erinnerung, ebenso wie das seines Nachfolgers Theodor Brandt (1895 – 1896). Beide pflegten die Operettenkunst mit Vorliebe, hatten jedoch in finanzieller Beziehung mit mancherlei Widrigkeiten zu kämpfen, so daß Dr. Rauch, der das Theater 1896 übernahm, schon dadurch allein viel Mut und Energie zeigte. „Der Brandt geht in Rauch auf“, witzelte man damals; aber schon bald spürte man den frischen künstlerischen Geist, den der junge norddeutsche, 27 Jahre alte Musenjünger mitbrachte. Ihm gelang es, das Theater einer Blüte entgegenzuführen, auf die Wiesbaden mit Recht stolz sein kann. Auch in kaufmännischer Beziehung ward Dr. Rauch aller Schwierigkeiten Herr, so daß seine Bühne jetzt lukrativ – eine Conditio eine Quarantäne non für ersprießliches Wirken – zu nennen ist.

Dr. Hermann Rauch, eine der populärsten Persönlichkeiten der Weltkurstadt, ward a, 8. Juni 1869 zu Berlin geboren, studierte Geschichte und Germanistik in Freiburg i, B,, wo er sich auch den philosophischen Doktorhut erwarb, um dann planmäßig mit dem bewußten Willen zur Theaterleitung den Schauspielerberuf zu ergreifen, nachdem er sich bei Hofschauspieler Heinrich Oberländer und Max Grube, Kapazitäten dieses Gebietes, entsprechend vorgebildet hatte. Berlin, Meiningen, Antwerpen und Brüssel sind die Etappen jener erfolgreichen Laufbahn geworden, die in Kottbus allerdings unter kleinen Verhältnissen den ersten Schritt zur Erreichung des Zieles – der Theaterdirektion – tat, Von hier kam Rauch nach Wiesbaden.

Mancherlei technische Verbesserungen des Bühnen- und Zuschauerraumes führte er mit den Jahren durch, legte aber den Hauptwert auf die Auswahl der Stücke, ließ die Operette fallen und kultivierte das moderne Schauspiel sowie das feine Lustspiel. Gar manche Uraufführungen der humoristischen Musenkinder von Jakob, Stobitzer, Kraatz und Laufs an dieser Stelle waren das Signal für weitere stürmische Lacherfolge in ganz Deutschland, und hervorragende Gäste, wie Joseph Kainz, Sarah Bernhardt, Isadora Duncan, Agnes Norma, Irene Drisch, J.B. Coquelin, Adele Sandrock, Maurice Maeterlinck, Eleonore Duse, gaben sich im Residenztheater das Rendez-vous.

Mit Scharfblick und feinem Verständnis kreierte Dr. Rauch ein harmonisches Ensemble und verstand es, dieses zu halten. „Er basiert das Interesse seines Publikums nicht auf die Personalneugierde, sondern auf die Anteilnahme an der Entwicklung seines Ensembles“, rühmt ihm eine Fachzeitschrift nach und betont ferner seine Unabhängigkeit von Modeeinflüssen, insbesondere von Berlin. Von den Lieblingen des Wiesbadener Publikums, die unter Rauchs Ägide ihre Kunst in schönster Weise entfalteten, maßten gar manche dem Winke des unerbittlichen Mors Imperator folgen, andere erhielten ehrenvolle Berufungen an größere Bühnen. Wer erinnert sich nicht des urwüchsigen Humoristen und prächtigen Menschen Gustav Schultze, bei dessen Erscheinen schon das Auditorium wieherte! So manches Stündlein scheuchte er uns die Alltagssorgen hinweg. Hans Manussis vornehme abgeklärte Darstellungsweise ist ebenfalls unvergessen; er kam als Theaterdirektor nach Trier, wo er am 22. November 1902 starb und dann auf dem Wiesbadener Nordfriedhofe seine letzte Ruhestätte fand. Regisseur Kienscherf wurde seinerzeit eine glänzende Stellung als Oberregisseur an der Karlsruher Hofbühne angeboten, die er heute noch bekleidet, und ebendortselbst wirkt auch Frl. Else Noormann, ein langjähriges beliebtes Mitglied des Residenztheaters. Schauspieler Otto errang hier großen Beifall, und nicht minder Hans Wilhelmy, seit 1908 Direktor des hiesigen Volkstheaters. Noch manche andere könnten diese Reihe vervollständigen. In der gegenwärtigen Künstlerschaft präsidieren Rudolf Bartak und Frau Minna Agté als Primi inter pares; sind doch beide am längsten engagiert. Nicht vergessen werden darf der fidele „Kastengeist“ Amalie Samariter, die, fast 75 Jahre alt, mit Rüstigkeit und Frische das Souffleusenamt versieht.

Die Spielsaison 1909/10 gehörte zu den reichhaltigsten und gelungensten der Theaterchronik; führte hier doch Dr. Rauch zum 14. Male das Szepter. Es wurden im ganzen, wie die Direktion offiziell mitteilt, 343 Vorstellungen gegeben, davon 299 Abendvorstellungen und 43 Nachmittagsvorstellungen. Es kamen zur Aufführung 62 verschiedene Stücke, darunter 36 Neuheiten (unter diesen 2 Uraufführungen) und 26 Stücke älteren Spielplans. Dem Charakter nach entfielen auf Schauspiel, Drama und Trauerspiel zusammen 24 Stücke, auf Lustspiel, Komödie, Groteske 24 Stücke und auf Schwank, Posse, Volksstück usw. zusammen 14 Stücke. Die Werke von 68 verschiedenen Autoren gingen über die Bretter, und zwar waren dies, den Nationalitäten nach verteilt: 47 Deutsche, 16 Franzosen, 3 Engländer, 1 Däne und 1 Norweger.
Wie bekannt, wird das neue Residenztheater in der Luisenstraße am Anfang September feierlich eröffnet werden.

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